Bundesgerichtshof: Verbreitung ungenehmigter Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerstall ist zulässig - deutliche Stärkung investigativer Presseberichte - VI ZR 396/16
Wo Bio draufsteht: Ist da auch Bio drin? Die Frage betrifft so ziemlich jeden Verbraucher. Die Fragestellung dahinter geht allerdings über diesen speziellen Fall hinaus. Es geht um so ziemlich sämtliche journalistischen Beiträge, die sich investigativer Techniken (versteckte Kamera, zeitweiliges Mitarbeiten in einem Unternehmen) bedienen.
Wenn - ohne Genehmigung, also per vorherigem Hausfriedensbruch - Filmaufnahmen gemacht werden, die dafür sprechen, daß das mit dem "Bio" jedenfalls nicht heißt, daß es den Tieren so richtig gut geht: Ist es legitim, diese Filmaufnahmen zu veröffentlichen?
Der Bundesgerichtshof hat sich heute mit einem solchen Fall von 2012 beschäftigt. Landgericht und Oberlandesgericht Hamburg hatten der Klage des Biobetriebs auf Unterlassung stattgegeben. Der Bundesgerichtshof hat dagegen das OLG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
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Verbreitung ungenehmigter Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen - Urteil vom 10. April 2018 - VI ZR 396/16
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Der Sachverhalt:
> Die Klägerin ist ein auf die Vermarktung von Bio-Produkten spezialisierter Erzeugerzusammenschluss von elf ökologisch arbeitenden Betrieben, die Ackerbau und Hühnerhaltung betreiben.
Die eigentlichen Filmaufnahmen basierten auf einem Hausfriedensbruch:
> In den Nächten vom 11./12. Mai und 12./13. Mai 2012 drang F., der sich für den Tierschutz engagiert, in die Hühnerställe von zwei der in der Klägerin zusammengeschlossenen Betriebe ein und fertigte dort Filmaufnahmen. Die Aufnahmen zeigen u.a. Hühner mit unvollständigem Federkleid und tote Hühner.
F. war allerdings nicht Beklagter. Er gab die gemachten Filmaufnahmen weiter, an den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Das war der Beklagte.
> F. überließ die Aufnahmen der Beklagten, die sie am 3. September 2012 in der Reihe ARD Exklusiv unter dem Titel "Wie billig kann Bio sein?" bzw. am 18. September 2012 im Rahmen der Sendung "FAKT" unter dem Titel "Biologische Tierhaltung und ihre Schattenseiten" ausstrahlte.
Der Betrieb verklagte den MDR auf Unterlassung, die Filmaufnahmen weiterzuverbreiten. Den Unterlassungsanspruch hatten LG und OLG Hamburg bestätigt.
Der Hauptsatz aus der PM:
> Die Verbreitung der Filmaufnahmen verletzt weder das Unternehmerpersönlichkeitsrecht der Klägerin noch ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
Die Filmaufnahmen seien zwar geeignet, das Ansehen und den wirtschaftlichen Ruf des Klägers zu beeinträchtigen. Aber das sei nicht rechtswidrig. Denn:
> Das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit überwiegen das Interesse der Klägerin am Schutz ihres sozialen Geltungsanspruchs und ihre unternehmensbezogenen Interessen.
Das gilt explizit auch dann, wenn die Aufnahmen nicht einvernehmlich, sondern per Hausfriedensbruch hergestellt wurden, das also rechtswidrig war.
Auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wurden nicht unzulässig veröffentlicht:
> Mit den beanstandeten Aufnahmen wurden keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse der Klägerin offenbart. Die Aufnahmen dokumentieren vielmehr die Art der Hühnerhaltung durch dem Erzeugerzusammenschluss angehörige Betriebe; an einer näheren Information über diese Umstände hat die Öffentlichkeit grundsätzlich ein berechtigtes Interesse.
Die Filmaufnahmen seien zutreffend, es seien keine unwahren Tatsachenbehauptungen. Durch das Veröffentlichen per Ausstrahlen hat die Beklagte einen "Beitrag zum geistigen Meinungskampf" geleistet.
Zum Schluß zur Aufgabe der Presse:
> Es entspricht der Aufgabe der Presse als "Wachhund der Öffentlichkeit", sich mit diesen Gesichtspunkten zu befassen und die Öffentlichkeit zu informieren. Die Funktion der Presse ist nicht auf die Aufdeckung von Straftaten oder Rechtsbrüchen beschränkt.
Das sind deutliche Worte dahingehend, daß solche "investigativen Methoden" zulässig sind, sofern sie die tatsächlichen Verhältnisse wiedergeben.
Beim Deutschen Journalisten-Verband fand sich eine Pressemitteilung zu dem Urteil:
Bundesgerichtshof: Urteil nützt Journalismus
Der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall:
> „Das Urteil stärkt dem kritischen und investigativen Journalismus in Deutschland den Rücken“
Und weiter:
> Indem die Richter den Informationsanspruch der Bürger über die Geschäftsinteressen des betroffenen Unternehmens gestellt hätten, sei die aufklärende Funktion der Medien über gesellschaftlich relevante Themen bestätigt worden. Überall: „Das gibt Sicherheit bei der Recherche.“
Ein deutliches Urteil. Wer in irgendeiner Art und Weise gewerblich tätig ist, der muß es sich im Zweifelsfall auch gefallen lassen, daß bestimmte Dinge an die Öffentlichkeit kommen.