Berlin Shutdown - Berlin closes all schools and preschools, universities and clubs - Berlin hat seit gestern das öffentliche Leben lahmgelegt - Coronavirus Covid19

15.03.2020 22:53:24, Jürgen Auer, keine Kommentare

Eine verblüffende Woche geht hier in Berlin zu Ende.

Am 08.03.2020, am letzten Sonntag, nach der ersten Woche mit steigenden Covid-19-Infizierten, waren das 40 Infizierte.

Nun, eine Woche später, meldet die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung:

Coronavirus: Derzeit 283 bestätigte Fälle in Berlin

https://www.berlin.de/sen/gpg/service/presse/2020/pressemitteilung.906973.php

Stand heute, 16:30.

Noch in der Vorwoche hieß es: Keine Schulschließungen, die Museen und Clubs waren offen, es gab Bundesligaspiele mit Berliner Beteiligung und Zuschauern.

Dann wurden die Museen, Konzerthäuser und Opern geschlossen. Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern wurden untersagt. Am Donnerstag meldete das Berghain, daß es für vier Wochen dicht macht.

Dabei ist doch klar, daß das Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird. Intensives Tanzen in geschlossenen Räumen mit infizierten Teilnehmern ist ein Fest für jeden Virus. Da klappt die Übertragung auch bei weniger Personen.

In einem Club hatte eine infizierte Person 16 andere Personen angesteckt. In einem anderen Club eine infizierte Person 9 andere.

Am Freitag gab es Verdachtsfälle und erste infizierte Fußball-Bundesligaspieler, daraufhin die Absage des Spieltags. Einige Clubs schlossen sich dem Berghain an und teilten mit, daß sie für ein paar Wochen dicht machen. Ein Club wollte tricksen und eine Veranstaltung mit mehr als 1000 Teilnehmern auf zwei Termine mit unter 1000 Teilnehmern aufteilen.

Der Berliner Senat, der bis dahin eher durch Untätigkeit und Zögerlichkeit aufgefallen war, beschloss: Die Schulen und Kindergärten werden geschlossen. Clubs, Kneipen und ähnliche Einrichtungen sollten folgen, aber erst Dienstag, also übermorgen.

Prompt gab es Proteste. Müsse es denn wirklich sein, daß sich übers Wochenende nochmals diverse Leute neu infizieren?

Schließlich gestern eine lange Senatssitzung und eine Verordnung, die "ab sofort", "unverzüglich" gilt. Gestern lag ein Hauch von Mauerfall, von der Schabowski-Pressekonferenz vom 09.11.1989 in der Luft.

Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus in Berlin

Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin

https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/rathaus-aktuell/2020/meldung.906890.php

Das Infektionsschutzgesetz erlaubt weitreichende Maßnahmen.

- Alle Veranstaltungen ab 50 Teilnehmern sind untersagt.
- Geschlossen sind:
- Tanzlustbarkeiten, Messen, Ausstellungen, Spezialmärkte, Spielhallen, Spielbanken, Wettannahmestellen und ähnliche Unternehmen.
- Kinos, Theater, Konzerthäuser, Museen und ähnliche Einrichtungen dürfen nicht für den Publikumsverkehr geöffnet werden. Sowie Prostitutionsstätten.
- Rauchergaststätten
- Sonstige Gaststätten dürfen nur dann öffnen, wenn ein Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen den Gästen sichergestellt ist.
- Der Sportbetrieb auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen, Schwimmbädern, Fitnessstudios u. ä. wird untersagt.

Für Krankenhäuser und Altenheime gibt es neue Besuchsregelungen. Sowie:

> Diese Verordnung tritt vorbehaltlich des Absatzes 2 am Tag ihrer Verkündung ... in Kraft

Bereits gestern abend waren zwei Hundertschaften der Polizei unterwegs, um das Verbot durchzusetzen und die entsprechenden Einrichtungen auf das Verbot hinzuweisen. Manche wußten wohl noch nichts davon. Die Regelung war erst am frühen Abend bekannt geworden. Um 19:01 kündigte die Polizei dies an:

https://twitter.com/PolizeiBerlin_E/status/1238888015214362625

> Zur weiteren Eindämmung von #COVID19 hat der Berliner Senat ab sofort alle öffentlichen & nichtöffentlichen Veranstaltungen ab 50 Teilnehmenden verboten.
> Auch unsere Kolleg. werden zu Ihrer Sicherheit darauf achten, dass alle sich daran halten. Bitte haben Sie dafür Verständnis.

Sowie gegen 20:20:

https://twitter.com/PolizeiBerlin_E/status/1238907851747229697

> Sie können unsere Kolleg. draußen unterstützen, in dem Sie Veranstaltungsorte oder andere Lokalitäten mit mehr als 50 Personen gar nicht erst aufsuchen, auch nicht, um "vorbeizuschauen". > Bleiben Sie am besten zu Hause & vermeiden Sie weitgehend soziale Kontakte. #COVID19

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Das Problem kann man sich sehr einfach klar machen. Derzeit sind das hier in Berlin 283 Infizierte, davon 16 im Krankenhaus. Das ist aktuell eine Quote von 5,6 %.

Gibt es an einem Tag 10.000 Neuinfektionen, dann sind von diesen etwa 500 auf ein Krankenhausbett angewiesen. Bei - geschätzt (aktuell gibt es für DE keine konkreten Zahlen) - 10 - 20 % dieser Patienten entwickelt sich der Verlauf schlecht, diese sind auf Intensivbetten mit künstlicher Beatmung angewiesen. Das sind 50 - 100 Personen. Pro Tag neu dazu kommend.

Bei Covid-19 sind - im Gegensatz zu einer Grippe - oft 5 - 10 Tage künstliche Beatmung notwendig. Die 50 neuen Intensivpatienten pro Tag belegen also 500 Intensivbetten.

Berlin hat derzeit 1050 Intensivbetten, diese wären bei 50 neuen Patienten pro Tag zur Hälfte ausgelastet.

Derzeit wächst die Zahl der Infizierten multiplikativ, teils um 20 - 40 % pro Tag. Bereits ein Wachstum von 12 % pro Tag bedeutet ungefähr eine Verdoppelung nach einer Woche.

Bei einer Verdoppelung pro Woche werden aus heute 1000 nach einer Woche 2000, nach zwei Wochen 4000, nach 3 Wochen 8000 Infizierte. Sprich: Nach etwas mehr als 3 Wochen kann man eine 0 ranhängen. Aus heute 1000 sind in gut 3 Wochen 10.000, in 6 - 7 Wochen 100.000 Infizierte geworden. Nachschub und Infektionsmöglichkeiten gibt es in einer uneingeschränkt genutzten Großstadt mit öffentlichem Nahverkehr, vielen Touristen und Clubs genügend. Hinzu kommt, daß inzwischen diverse Touristen "im Kiez" einkaufen, also mit Bewohnern Kontakt haben und diese infizieren können.

100.000 Infizierte ziehen bei 10 % Wachstum pro Tag mindestens 10.000 Neuinfektionen pro Tag nach sich. Damit sind 50 - 100 % aller Intensivbetten belegt.

Gelingt es also nicht, die Rate der Neuinfektionen deutlich abzusenken und die Ausbreitung des Virus zu bremsen, ist der Kollaps des Gesundheitssystems absehbar.

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Heute wurde im Tagesspiegel-Blog berichtet, daß etwa 1/6 aller Infizierten in Clubs war. Die Clubs und alle Kneipen, in denen es "hinreichend eng" zugeht und in denen sich Touristen und Berliner mischen, sind also kritisch.

Vom Tagesspiegel gibt es inzwischen eine englische und eine arabische Information:

Closures, Hotlines, Contact Points: Coronavirus in Berlin – what you need to know and where you can get help

https://www.tagesspiegel.de/berlin/closures-hotlines-contact-points-coronavirus-in-berlin-what-you-need-to-know-and-where-you-can-get-help/25646676.html

برلين في حالة طوارئ، هذا ما يجب عليكم معرفته، وهنا بإمكانكم الحصول على المساعدة

https://www.tagesspiegel.de/berlin/-----/25646660.html

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Einerseits ist das Coronavirus eine riesige Herausforderung. Andererseits zeigen sich nun auch einige interessante Dinge:

- Alle Menschen sind davon betroffen. Es ist nicht das Problem einzelner Staaten. Durch die Reisen und durch die wirtschaftlichen Verflechtungen (inklusive der dadurch ausgelösten Reisen) verteilt sich das Virus. Asiaten kommen nach Europa und Amerika, Europäer und Amerikaner reisen nach Asien. Oder Leute sind (von DE her) in Südtirol oder von Norwegen her in Berlin, infizieren sich und transportieren die Infektion in ihre Länder.

- Es betrifft auch alle Sportarten. Grade bei internationalen Wettkämpfen. Dort können sich bsp. Fußballer gegenseitig anstecken.

- Die Heftigkeit der Auswirkungen dürfte stark davon abhängen, ob rechtzeitig solche "entschleunigenden Maßnahmen" getroffen werden.

- Die Zahl der offiziell gemeldeten Infizierten dürfte - im Vergleich zwischen den Staaten - nur eine relativ geringe Aussagekraft besitzen. Weitaus relevanter ist die Zahl der Infizierten in Krankenhäusern und die Zahl der Toten. Wenn (siehe älterer Blogbeitrag) in Italien bei etwa 8000 Infizierten bereits 5000 im Krankenhaus oder verstorben sind, in DE dagegen nur 5 % der Infizierten im Krankenhaus sind, dann ist zu befürchten, daß in Italien zu diesem Zeitpunkt bereits 100.000 unerkannt infiziert waren.

- Staaten, die kaum testen, laufen Gefahr, umso heftiger davon überrollt zu werden, daß plötzlich viele Bürger ärztliche Versorgung benötigen. Ignorieren löst das Problem nicht. Weder von der Seite der Regierungen noch von der Seite der Bürger. Kein direkter Kontakt -> kaum ein Infektionsrisiko.

- In ländlichen, dünn besiedelten Gegenden ist das Risiko zwangsläufig deutlich geringer. Dort haben Personen nur mit einer begrenzten Zahl anderer Personen Kontakt, die sie infizieren oder von denen sie infiziert werden können. Kritisch wird es, wenn Personen von Reisen zurückkommen. Daraus hatten sich in den letzten Wochen wiederholt "kleine Infektionsherde" gebildet.

- Wirklich kritisch ist das in Großstädten, in denen Personen mit ständig wechselnden anderen Personen zusammenkommen. Dort hilft nur, die Zahl bzw. die möglichen Folgen dieser Kontakte zu minimieren. Nur auf die "Vernunft" der Bürger zu hoffen klappt allerdings nicht. Das zeigten die beiden letzten Wochen nur zu deutlich.

 

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